Zeitzeugnis des Monats

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Heimlich aus dem Speziallager geschmuggelter Brief von Margot Jann an ihre Eltern

An dieser Stelle stellen wir Ihnen interessante Zeitzeugnisse vor, denen wir in unserer täglichen Arbeit begegnen. Mal werden es Fotos, dann Dokumente oder Zeitzeugenberichte sein. Haben auch Sie ein interessantes Zeitzeugnis, das Sie gern vorstellen möchten? Dann melden Sie sich bei uns!

Zeitzeugnis April 2018

Kassiber aus dem Speziallager Bautzen von Margot Jann

Hintergrund zum Zeitzeugnis:

Im Herbst 1945 wird die aus Großröhrsdorf stammende Margot Jann verhaftet. Ihr und den Freunden aus ihrer Clique wird die Bildung einer faschistischen Untergrundgruppe vorgeworfen. Man verurteilt alle zum Tode. Nach einem Gnadengesuch wird die Todesstrafe in eine Haftstrafe umgewandelt. Margot Jann kommt ins Speziallager Bautzen, von wo aus es ihr gelingt, heimlich eine Nachricht an ihre Eltern zu schreiben. So hören die Eltern nach über einem Jahr der Ungewissheit das erste Mal von ihrer Tochter und erfahren auf diese Weise, dass sie noch lebt.

Abschrift

Meine geliebten Eltern. Nun ist das 2. Weihnachtsfest vergangen, das ich nicht bei Euch war. Ihr werdet immer an mich gedacht haben. So wie auch meine Gedanken immer bei Euch sind. Weint nicht zu oft. Seid tapfer, so wie auch ich tapfer sein will. Ich bin gesund und mir geht es nicht schlecht. Bleibt auch Ihr mir gesund. Haltet aus! Mit Euch stehe und falle auch ich. Und ich habe den festen Willen durchzuhalten, um zu Euch, hoffentlich bald, zurückzukehren. Bis dahin beschütze Euch Gott. Viele liebe Grüße und sehnsüchtige Küsse von Eurer Margot. Grüßt mir Rolf und alle Verwandten und Bekannten vielmals.

Margot Jann spricht über ihre heimlich aus der Haft geschmuggelten Briefe:

»Die Martl hatte mir ein Stück Stoff besorgt, auch einen Stift. Ich habe damit an meine Eltern geschrieben und meinen ›Brief‹ an einem Bindfaden aus unserem Fenster ins Erdgeschoss runtergelassen. Irgendwie ist es von den Häftlingen fortbefördert worden. Wie, das weiß ich nicht. Auf alle Fälle haben es meine Eltern bekommen. Und 1948 habe ich dann nochmal geschrieben. Aller paar Wochen gingen wir zum Duschen. Und da hatte ich Gelegenheit, einen weiteren Gruß zu übergegen. Ich bat den Häftling, der die Dusche bewachte, und der hat das befördert. Das war sehr gefährlich. Ich habe zwei Tagesrationen Brot gespart, und die habe ich ihm dafür gegeben. Man hatte immer Hunger und das war sehr, sehr schwer, das zu sparen. Aber das war es mir einfach wert. Wenn ich dachte, meine Mutter, wie soll die das ohne mich durchhalten. Die muss wissen, dass ich noch lebe. Und da hab ich zweimal geschrieben. Aber ich bin, glaube ich, die einzige gewesen, die das geschafft hat.«

Aus: Nancy Aris: Das lässt einen nicht mehr los: Opfer politischer Gewalt erinnern sich, Evangelische Verlagsanstalt 2017, S. 48 f.

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Wolfgang Lehmann unmittelbar nach seiner Rückkehr aus sowjetischer Gefangenschaft

Zeitzeugnis März 2018

"Pelzmützen-Foto" von Wolfgang Lehmann

Wolfgang Lehmann wird im Oktober 1945 wegen Werwolf-Verdacht von den Sowjets verhaftet und kommt in ein sowjetisches Speziallager. Als 1947 die Transporte derer zusammengestellt werden, die in Sibirien Zwangsarbeit leisten sollen, ist er mit dabei. Als Kleidung bekommen die Häftlinge Pelzmützen aus alten Wehrmachtsbeständen. Die Transporte nennt man deshalb bald „Pelzmützentransporte“.

Wolfgang Lehmann bleibt bis 1950 in Sibirien. Als er nach Hause kommt, geht er noch bevor er sein Elternhaus aufsucht, zum Fotografen und lässt sich in Wattejacke und Pelzmütze fotografieren. Es ist vermutlich das einzige Foto, das von den Pelzmützentransport-Rückkehrern existiert.