Einblicke

Alles andere als Monopoly – Geschichtsvermittlung als Spiel auf der Bühne

Geschichte als Spiel? Die Bürgerbühne des Staatsschauspiels Dresden nähert sich dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 auf ungewöhnliche und packende Weise: Im Theaterprojekt „Juni´53 – ein Spiel?“ entwickelte das Ensemble aus dem historischen Thema und dem Kampf um Freiheit ein Strategiespiel, das in der fiktiven Stadt Elbnitz angesiedelt ist. Dabei „schreiben“ sechs Gruppen Geschichte: Arbeiter, Handwerker, Gewerkschaftsvertreter, SED-Parteifunktionäre, Volkspolizei und Jugendliche. Sie stehen sich feindlich gegenüber - die einen sind besonders staatstreu, andere protestieren gegen die Diktatur oder suchen noch ihren Weg und verbünden sich. Ereignisse und Orte des Spiels sind an die Geschehnisse des Volksaufstands in Sachsen angelehnt.

Am 24. März 2024 hatte die Aufführung im Kleinen Haus in Dresden Premiere. Den Handlungsrahmen bildete ein gemeinsamer Brettspielabend. Dabei wurde die Bühne zu einem großen Brettspiel. Nach und nach trafen die Schauspielerinnen und Schauspieler ein, die nun in die Rollen des Volksaufstands schlüpften. Manche Figuren erinnerten an reale Akteure des Aufstands, andere waren fiktiv. Die Spielfiguren: Eine Arbeiterin, die endlich frei sein will. Ein Jugendlicher, der mehr vom Leben will, als nur malochen und sich unterordnen. Ein Handwerker, der erst abwartet, sich dann doch dem Protest anschließt. Ein Parteisekretär, der jeden Widerstand niederschlagen will. Eine Gewerkschafterin, die erst gegen den Protest ist, dann aber schwankt angesichts der bereits verübten Gewalt. Der Volkspolizist Hans, der fest an den Aufbau des Sozialismus glaubt und diesen mit aller Gewalt durchsetzen möchte.

So bekam die Geschichte nach und nach viele Gesichter. Um möglichst lebensnahe Rollen zu entwickeln, hatte das Ensemble intensiv nach historischem Material recherchiert und unzählige Videos angeschaut. Die Landesbeauftragte unterstützte das Team der Bürgerbühne dabei und beriet bei allen Fragen. Mit Hilfe von Bildern und historischem Material konnten dann im Rahmen des Stücks die geschichtlichen Fakten erklärt werden. Deutlich wurde: Der Kampf um politische Freiheit vor über 70 Jahren war alles andere als ein Spiel. Aber wir können uns dem Thema auf spielerische Weise nähern, um die damaligen Möglichkeiten und Ängste der Menschen besser zu begreifen.

Und genau das passierte auch. In der zweiten Hälfte des Stücks verließ das Publikum die bequemen Zuschauerstühle und wechselte auf die Bühne. Die Zuschauerinnen und Zuschauer bekamen die Regeln erklärt und spielten. Plötzlich waren alle mittendrin. Aus 60 passiven Zuschauern wurden aktive Mitspieler, die sich überlegten, wie es damals gewesen sein könnte. Selbst mitzuspielen, aktivierte und motivierte. Als die Aufführung sich dem Ende neigte, fiel das Aufhören schwer, denn gerne hätten viele bis in die Nacht weitergespielt.

Im anschließenden Publikumsgespräch konnten Fragen an die Landesbeauftragte und an das Team der Bürgerbühne gestellt werden. Die Aufführung löste Gesprächsbedarf aus, sowohl im Publikum als auch bei den Schauspielerinnen und Schauspielern. Ein Diskussionsthema, war die Frage, ob ein Spiel zu so einem wichtigen historischen Ereignis nicht zu einer Verharmlosung der Geschichte beiträgt, weil die dramatische Entwicklung verniedlicht oder sogar ins Lächerliche gezogen werden könnte. Diskutiert wurde auch, ob ein Brettspiel den damaligen Aufbruch zur Freiheit und die damit verbundene Selbstermächtigung der Menschen adäquat wiedergeben kann.

Eine der Darstellerinnen erzählte auf Nachfrage, dass das Thema des Aufstands für sie ganz aktuell sei, da sie aus Russland komme. Sie denke viel darüber nach, wie sie sich verhalten würde, wenn sie jetzt dort und nicht in Dresden leben würde. Sie wisse es nicht. Hätte sie den Mut, für Freiheit und Demokratie auf die Straße zu gehen und sich damit dem Risiko auszusetzen, zu einer langen Haftstrafe verurteilt zu werden? Eine Aussage, die nachdenklich macht und uns aus der Geschichte direkt in die Gegenwart holt. Sie zeigt auch, wie wichtig es ist, den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in den öffentlichen Diskurs zu bringen. Die Methode des Spiels ist dafür besonders gut geeignet. Sie regt dazu an, sich in die Vergangenheit hineinzuversetzen, Ereignisse nachzuvollziehen und diese mit der eigenen Lebenswelt zu verknüpfen.

Die nächste Aufführung findet im Rahmen des B:Club Festivals vom 14. bis 16. Juni 2024 statt. Auch mit dem Brettspiel zum Volksaufstand geht es weiter: Geplant ist, das Spiel zu verfeinern, um es in Serie zu produzieren. Es könnte somit in der politisch-historischen Bildung eingesetzt oder einfach zu Hause in gemütlicher Runde gespielt werden.

Das Theaterprojekt ist eine Kooperation des Staatsschauspiels Dresden mit DIE BÜHNE – Das Theater der TU Dresden. Die Sächsische Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur hat das Projekt initiiert und fördert es.

 

Theaterprojekte bringen Ereignisse des Volksaufstands zurück auf die Straße

Die Sächsische Landesbeauftragte erinnerte anlässlich des 70. Jahrestags des Volksaufstands vom 17. Juni 1953 mit Theaterprojekten in Görlitz und Leipzig an den Protest und den Mut der DDR-Bürgerinnen und Bürger. Damit wurden die Ereignisse von damals wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gebracht, denn die Erinnerung an den Volksaufstand ist heute oft verblasst.

In Görlitz brachten junge Theatermacherinnen am 17. Juni 2023 in fünf spannenden Performances die Ereignisse des Volksaufstands zurück auf die öffentlichen Plätze der Neißestadt.

Erste Station war der Görlitzer Marienplatz. In der Performance „Die Wochen davor“ stellten die Schauspieler Alltagsszenen aus der Zeit vor dem Protest nach. Dabei thematisierten sie die besondere Ausgangslage der Neißestadt Görlitz, die ein Zentrum des Volksaufstands war.

„Die Werksversammlung“ bildete die zweite Station. Auf dem Balkon des Gerhart-Hauptmann-Theaters am Demianiplatz hielten die Theatermacherinnen Reden der Arbeiterinnen und Arbeiter während des Streiks vom 17. Juni 1953 in Görlitz.

Direkt am Görlitzer Rathaus ging es weiter mit der dritten Station: In der Performance „Die Reden des 17. Juni 1953“ wurden die Reden der Protestkundgebung auf dem Görlitzer Obermarkt (damals Leninplatz) aufgegriffen und die damalige Stimmung nachempfunden. Mitten unter Touristen und Spaziergängern hielten die Schauspieler ihre hochemotionalen Reden von damals und machten die Forderungen und den Unmut der Menschen greifbar. Dafür nutzten sie die heute im Archiv befindlichen Aufzeichnungen von der Kundgebung, die im Stadtfunk übertragen worden war.

Anschließend zogen die Schauspieler wenige Meter weiter, um unter den Arkaden des Görlitzer Untermarktes in der Station „Ordnung im Chaos“ den Aufbau von Strukturen mitten im Aufstandschaos nachzuempfinden. Dabei stellten die Schauspieler das Wirrwarr und die Suche nach Struktur im Machtwechsel dar.

Mit der Station „Der Stadtschreiber“ knüpfte das Theaterprojekt wieder an die Gegenwart an. Ein Schauspieler saß an der Schreibmaschine und notierte die Wünsche der Bürgerinnen und Bürger an die Politiker. Die Anliegen wurden am Abend bei der Festveranstaltung dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer übergeben.

Das Theaterprojekt in Görlitz wurde von der Landesbeauftragten initiiert und gefördert. Das StudierendenEnsemble des Gerhart-Hauptmann-Theaters Zittau-Görlitz entwickelte die Stücke mit den Görlitzer Theatergruppen ImproTheater und theaterOST. Die Leitung hatte Eike Zastrow.

In Leipzig beschäftigten sich Schülerinnen und Schüler des Immanuel-Kant-Gymnasiums seit März   mit den Ereignissen des Volksaufstands und entwickelten daraus Theaterszenen. Auch dieses Projekt entstand auf Initiative und mit Unterstützung der Landesbeauftragten in Zusammenarbeit mit dem Werk 2 – Kulturfabrik e.V.

Am 21. Juni 2023 präsentierten die Jugendlichen ihr Theaterstück in der Aula ihrer Schule. Im Zentrum stand die Frage, was der Protest von damals für Jugendliche heute bedeutet: Der Wert von Freiheit war ein wichtiges Thema, das die Schüler künstlerisch verarbeiteten.

In einer fiktiven Szene, erzählte eine Großmutter ihren Enkeln von ihrem 17. Juni und ihrer Verhaftung damals. Für die Kinder ist ihre Erzählung unwirklich, eine Abenteuergeschichte, denn Freiheit ist für sie selbstverständlich.  In einer Tanzchoreographie zeigten die Schüler anschließend, wie sich Unterdrückung anfühlt:  Im Gleichtakt tanzen und sich anpassen lernen. Und dann: Mut haben, aus der Reihe zu tanzen und sich aufzulehnen.

Darüber hinaus beschäftigten sich die Jugendlichen in ihrem Stück mit den Themen Mobbing, Ausgrenzung und Überwachung als Bedrohung von Freiheit. In weiteren Szenen zeigten sie, wie wichtig es ist, sich für seine Werte einzusetzen und Mut zu beweisen. Die Schülerinnen und Schüler machten in ihrer Performance deutlich, was junge Menschen heute mit dem Ereignis von damals verbinden.

70 Jahre nach dem Volksaufstand wissen viele Menschen nicht mehr, was damals in ihrer Region geschah. Es ist eine Herausforderung, die Erinnerung zu beleben und sie in die Gegenwart zu bringen. Die Theaterprojekte zum Volksaufstand vom 17. Juni 1953 zeigen eindrücklich, dass künstlerische Mittel dabei eine wertvolle Unterstützung sind. Theater kann Geschichte(n) zurück an die Orte des Geschehens bringen und ein Gespräch darüber anregen, was die Menschen damals bewegte.

 

 



 

 

In vielen kleinen Schritten das Gesicht der Welt verändern - Jugendliche auf den Spuren des Bürgerprotests 1989 in Dresden-Gittersee

Am 12. Mai 2023 fand in der Kirche Dresden-Gittersee die Abschlussveranstaltung unseres Hi-STORIES-Projekts statt, das wir gemeinsam mit den Konfirmanden der Paul-Gerhardt-Kirchgemeinde umsetzten. Die Jugendlichen machten sich dabei auf die Geschichtsspur zu folgenden Fragen: Warum protestierten die Menschen in Dresden-Gittersee im Jahr 1989 gegen den Bau eines Reinsiliziumwerks? Was hatte die evangelisch-lutherische Kirchgemeinde in Dresden-Gittersee mit dem Protest zu tun? Was ging in den Menschen vor, die mutig gegen die Übermacht des Staates protestierten?

Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, recherchierten die Konfirmanden vor Ort und befragten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. In Wandplakaten dokumentierten sie die Rechercheergebnisse. Nach jedem Hi-STORIES –Workshop füllten sich die Wandplakate mit Bildmaterial, Zeitzeugenberichten und Hintergrundmaterial - Es entstand ein Mosaik aus Geschichtsspuren und Erinnerungen. Unser Bildungsteam unterstützte die Konfirmanden dabei.

Die Abschlussveranstaltung des Projekts fand als Gemeindeabend statt. Während der Veranstaltung schilderte der damalige Gemeindepfarrer, Superintendent i.R. Wilfried Weißflog, anschaulich, wie er im Herbst 1988 von den Bauplänen und der Gefahr, die davon ausging, erfuhr. Mut und Angst begleiteten ihn, als er sich gegen den Bau engagierte und er die Kirche 1989 für den Protest öffnete. Damals war er sich nicht sicher, ob die Sache gut ausgehen wird, aber sein Glauben bestärkte ihn. Anschließend lud die Pfarrerin Beatrice Rummel ihre Kirchgemeinde dazu ein, von ihren eigenen Erlebnissen während des Protests 1989 zu berichten. Viele Gemeindemitglieder folgten der Einladung und ergänzten die Wandplakate mit ihren Erinnerungen: „Die Kirche war ein Schutzraum für die Leute“, „Man wurde genau beobachtet“,
„Über Kollegen im Betrieb wurde ich gewarnt, mich nicht an den Protesten zu beteiligen, was ich aber nicht ernst nahm“, „Es ist wichtig, Argumente fundiert vorzutragen und sich nicht einschüchtern zu lassen und auch Gottvertrauen zu haben“ -  Das Mosaik der Erinnerungen und Perspektiven auf den Wandtafeln wuchs.

Die Jugendlichen interviewten zudem ihre Gemeindemitglieder und erfuhren viel Neues. „Für mich ist die Zeit der DDR und des Umbruchs 1989 nun viel greifbarer“, schilderte einer der Konfirmanden seine Erfahrungen. Das Hi-STORIES-Projekt zeigte den Jugendlichen zudem, was Menschen gemeinsam bewirken können, wenn sie zusammenstehen. „Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern“ - mit diesen Worten, die aus einem afrikanischen Sprichwort stammen, beendete Pfarrerin Rummel die Abschlussveranstaltung.

Die Ergebnisse aus dem Projekt werden demnächst auf www.hi-stories.de zu sehen sein. Wir danken der Pfarrerin Beatrice Rummel, den Konfirmanden und allen beteiligten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen für den spannenden Austausch.

Informationen zum Protest gegen den Bau des Reinstsilizumwerks in Dresden-Gittersee

Hi-STORIES trifft auf Mail-Art

Seit Schuljahresbeginn beschäftigen sich Schülerinnen und Schüler der 8. Klasse des Gymnasiums Bürgerwiese in Dresden im Projekt Hi-STORIES mit der SED-Diktatur. Sie gehen auf Spurensuche nach der DDR in ihrer unmittelbaren Umgebung und erstellen eigene kleine Forschungsprojekte. Am 7. Dezember hatten sie die Gelegenheit, ihre gewonnenen Erkenntnisse und Eindrücke in einem »Mail-Art« Workshop künstlerisch umsetzen. Hierfür kooperierte die Landesbeauftragte mit der Gedenkstätte Bautzner Straße in Dresden.

Einmal wöchentlich finden in diesem Schulhalbjahr Hi-STORIES Workshops am Gymnasium Bürgerwiese statt. Den Rahmen bildet das Profilfach „Gesellschaftswissenschaft“ der 8. Klasse. Die Schülerinnen und Schüler setzen sich dabei intensiv unter anderem mit den Fragen auseinander: Wie funktionierte das politische System der DDR? Was erzählen (Alltags-) Objekte über die DDR? Wie funktioniert historisches und quellenkritisches Arbeiten und wie kann Geschichte ansprechend präsentiert werden? Ausgehend von diesen Fragen recherchieren die Jugendlichen eigene kleine „Stories“ über die DDR aus ihrem direkten Lebensumfeld. Bis zum Ende des Halbjahres werden diese fertiggestellt und auf der Projektwebsite www.hi-stories.de hochgeladen. Das Projektteam unterstützt und begleitet die Gruppen bei ihren Nachforschungen.

Im Rahmen der Workshops besichtigten die Schülerinnen und Schüler zudem das Museum »DDR-Welt« und die Gedenkstätte Bautzner Straße in Dresden. Hierüber erhielten sie Einblicke in die Alltagswelt der DDR, aber auch davon, wie mit Menschen umgegangen wurde, die eine abweichende politische Meinung besaßen. Aus dem Gedenkstättenbesuch entwickelte sich die Idee einer weiteren Zusammenarbeit. Gemeinsam führte die Landesbeauftragte mit der »Bautzner Straße« am 7. Dezember einen Workshop zum Thema »Mail-Art« durch. Dieser ist Bestandteil des Jugend erinnert-Projekts zusammen.HALT der Gedenkstätte.

»Mail-Art« bezeichnet eine Kunstform, bei der Postkarten mit Witz und politischem Hintersinn gestaltet werden. Diese versenden und empfangen Mail-Art Aktivistinnen und Aktivisten weltweit und versammeln anschließend im privaten Raum Menschen zu Ausstellungen. Vor allem in der DDR versuchten junge Menschen über diese Kommunikationsform die eng gesetzten politischen und geographischen Grenzen zu überwinden.

Der gemeinsame Workshop begann mit einem Zeitzeugengespräch mit Jürgen Gottschalk. Er war einer der wichtigsten Akteure der Dresdener Mail-Art Szene. Aufgrund seiner (politischen) Kunst wurde er in der DDR verhaftet und ins Gefängnis gesperrt. Jürgen Gottschalk berichtete den Schülerinnen und Schülern von seinem Leben als Grafiker mit einer eigenen Druckwerkstatt in der DDR, wie er auf das Thema Mail-Art aufmerksam gemacht wurde und sogleich eigene Projekte anstieß. Auch die Hintergründe seiner Verhaftung und seinem anschließenden Freikauf erzählte er.

Im Anschluss hatten die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, sich selbst an der »Mail-Art« auszuprobieren. Auf mitgebrachten Blanco-Postkarten konnten sie sich zeichnerisch oder mittels Collagen aus mitgebrachten Zeitungs- und Buchseiten mit ihren Eindrücken aus den Workshops und Exkursionen auseinandersetzen und diese künstlerisch verarbeiten. Dabei entstanden eine Vielzahl an Postkarten, die sich mit unterschiedlichen Themen auseinandersetzten, wie: Die Zweiteilung Deutschlands, die Überwachung der Staatssicherheit und die Grenzen der (Meinungsfreiheit) oder der Widerspruch zwischen Friedenssymbolik und Aufrüstung in der DDR.

Die Postkarten zeigen eindrucksvoll, wie kreativ und differenziert sich junge Menschen mit der SED-Diktatur auseinandersetzen können. Die entstandenen Werke können zum Teil nach dem Abschluss des Jugend erinnert-Projekts der Gedenkstätte in einem eigens dafür eingerichteten »Denkraum« in der Ausstellung angesehen werden.

 

Gute Neuigkeiten für die Aufarbeitung in Sachsen - Arbeitstreffen der Opferverbände und Aufarbeitungsinitiativen

Am 5. Dezember 2022 fand unser zweites jährliches Arbeitstreffen der Opferverbände und Aufarbeitungsinitiativen statt. Das Treffen bietet eine Plattform für den Austausch und die Vernetzung im Bereich der Aufarbeitung des DDR-Unrechts in Sachsen.

Insgesamt kamen 15 Engagierte aus Gedenkorten, Betroffenenverbänden und Aufarbeitungsinitiativen in den Räumlichkeiten unserer Behörde zusammen. In vorweihnachtlicher Atmosphäre, bei Stollen und Kaffee, kamen wir miteinander ins Gespräch über aktuelle Projekte im Bereich der Aufarbeitung. Ebenfalls zu Gast war der Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler. In seinem Impulsvortrag betonte er die europäische Dimension der Friedlichen Revolution. Es sei wichtig diese Freiheitsbewegung als identitätsstiftend im gesamteuropäischen Kontext zu begreifen. Denn ohne die Menschen, die sich in Mittel- und Osteuropa mutig für Freiheit und Demokratie eingesetzt haben, wäre unser heutiges Europa nicht denkbar. Zudem informierte Dr. Rößler über die Fördermöglichkeiten des Sächsischen Landtags für regionale Initiativen der Aufarbeitung in Sachsen.

Darüber hinaus erfuhren wir viel Neues voneinander: Dr. Steffi Lehmann und Ingolf Notzke vom Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis e.V. in Chemnitz erläuterten den Baufortschritt des Lern- und Gedenkorts, der im Sommer 2023 eröffnet werden soll. Positive Entwicklungen sind auch beim Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig zu verzeichnen, berichtete Gesine Oltmanns von der Stiftung Friedliche Revolution. Der künftige Standort für das Denkmal steht nun fest: der Wilhelm-Leuschner-Platz. Erstmals beim Arbeitstreffen dabei war Elke Kühns, welche das Interimsbüro für die Gedenkstätte Hoheneck leitet. Sie stellte die Etablierung einer Gedenkstätte im ehemaligen Frauengefängnis Hoheneck vor.

Besonders freute uns die Neuigkeit der Andreas-Reimann-Gesellschaft e.V. aus Leipzig. Sie hatte sich in den vergangenen Jahren mit Unterstützung der Landesbeauftragten dafür eingesetzt, den in der DDR verbotenen Schriftsteller in der Öffentlichkeit bekannter zu machen. 2023 ist Andreas Reimann nun Lessingpreisträger des Freistaats Sachsen.

Weiteres Thema war der Ausblick auf 2023. Der 70. Jahrestag des Volksaufstands vom 17. Juni 1953 wird im kommenden Jahr im Mittelpunkt der Aufarbeitung in Sachsen stehen. Während des Treffens stellte Henry Krause von der Sächsischen Staatskanzlei Fördermöglichkeiten aus Anlass des Jahrestags vor sowie die geplanten Termine.

Im Anschluss an das Arbeitstreffen luden wir gemeinsam mit der Gedenkstätte Bautzner Straße zum Abend der Begegnung für Verfolgte und Inhaftierte der kommunistischen Diktatur in die Räume der Gedenkstätte ein.

Voneinander lernen und miteinander ins Gespräch kommen – Die »Schau auf Demokratie«-Messe in Plauen

Detailansicht öffnen:
Pascal Straßer vom Hi-STORIES-Projektteam an unserem Infostand.

Am 15. September 2022 – dem »Internationalen Tag der Demokratie« – fand in der Festhalle Plauen die Messe »Schau auf Demokratie« statt. Die Sächsische Landesbeauftragte war darauf vertreten: Pascal Straßer vom Projektteam »Hi STORIES. Geschichte vor Ort« stellte das Projekt und die Behördenarbeit vor.

Die Messe wurde von der »Initiative Medienbildung Vogtland« ausgerichtet und veranstaltet. Sie lud rund 600 Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte aber auch interessierte Bürgerinnen und Bürger dazu ein, sich mit Demokratie vertraut zu machen und miteinander ins Gespräch zu kommen.

Für die Jugendlichen gab es ein breites Angebot, um sich mit demokratischem Handeln auseinanderzusetzen: Verschiedene Workshops behandelten beispielsweise Themen wie »Alternative Fakten« oder »Meinungsbildung durch Social Media«. Junge Menschen, die sich bereits demokratisch engagieren, stellten sich und ihre Initiativen vor. Auch die Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas war mit dem Infomobil des Bundestags vor Ort und beantwortete im Rahmen einer Bürgersprechstunde die Fragen des jungen Publikums. Darüber hinaus konnten sich die Schülerinnen und Schüler den ganzen Tag an verschiedenen Messeständen über Vereine, Organisationen und Projekte informieren, die sich für ein demokratisches Miteinander engagieren.

Am Stand der Landesbeauftragten informierte Pascal Straßer über die Arbeit der Behörde und stellte die verschiedenen Bildungsangebote vor. Ein besonderes Augenmerk lag auf dem neuen digitalen Bildungs- und Mitmachprojekt »Hi-STORIES. Geschichte vor Ort«. Das Projekt begibt sich mit Jugendlichen auf Spurensuche von Geschichten aus der DDR vor der eigenen Haustür. Die Teilnehmenden forschen darüber und erstellen aus ihren gesammelten Erkenntnissen eigene digitale Beiträge, sogenannte »Stories«. Diese werden anschließend auf der Projektwebseite www.hi-stories.de veröffentlicht.

Der Messestand bot ein gutes Angebot, um mit Jugendlichen ins Gespräch über das Projekt zu kommen und Anregungen aufzunehmen. So konnten die Schülerinnen und Schüler Anregungen für die Workshops hinterlassen, die im Rahmen des Projekts durchgeführt werden: Welche Themen interessiert sie und wie muss ein gelungener Workshop aussehen? Eindeutige Spitzenreiter in der Kategorie der Themenwünsche waren die Friedliche Revolution und die Arbeitsweise der Staatssicherheit.

In den Gesprächen zeigte sich, dass bei vielen jungen Menschen ein Interesse für die Zeitgeschichte vor der eigenen Haustür besteht. Einigen waren sogar – nach kurzem Überlegen – Spuren der DDR aus ihrer näheren Umgebung bekannt. Ein Schüler sagte: »Es gibt beispielsweise noch viele Bilder an Hauswänden, die aus dieser Zeit stammen.« Baubezogene Kunst kann beispielsweise ein Ausgangspunkt einer »Hi-Story« werden. Aber auch Straßenschilder oder Schulsportmedaillen der Eltern verbergen oftmals spannende Geschichten und lohnen einer eingehenderen Beschäftigung.

Neben Gesprächen mit der Zielgruppe der Bildungsangebote bietet die Teilnahme an Messen jedes Mal eine gute Möglichkeit, sich mit anderen politischen Bildnern und Bildnerinnen auszutauschen und zu vernetzen. So konnten auch auf der »Schau auf Demokratie« Kontakte mit Institutionen und Initiativen geknüpft werden, die hoffentlich zum Erfolg des »Hi-STORIES«-Projekts beitragen werden.

Die Veränderung einer Gesellschaft im Brennglas – Buchpremiere in Bautzen

Detailansicht öffnen:
Dramaturgin Eveline Günther mit der Autorin Bettina Renner während der Lesung.
Detailansicht öffnen:
Moderation der Veranstaltung durch die stellvertretende Landesbeauftragte.
Detailansicht öffnen:
Zeitzeuge Frank Hiekel antwortet auf Fragen aus dem Publikum.
Detailansicht öffnen: Während der szenischen Buchlesung
Während der szenischen Buchlesung im Burgtheater Bautzen.
Detailansicht öffnen:
Christa Kämpfe und Christian Schramm während der Lesung.
Detailansicht öffnen:
Im Anschluss an die Lesung fand ein angeregtes Publikumsgespräch statt.

Das Buch „Bautzen im Dazwischen – Vom Ende der DDR zum Aufbruch in eine neue Zeit“, erschienen im August 2022 als 20. Band in der Buchreihe der Sächsischen Landesbeauftragten, erzählt wie die sächsische Stadt Bautzen und ihre Gesellschaft sich Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre veränderte. Am 11. September 2022 stellten wir das Buch gemeinsam mit der Autorin Bettina Renner erstmalig im Burgtheater Bautzen vor.

Das Buch der Bautzner Filmemacherin und Autorin, das auf Grundlage ihres Dokumentarfilms im Zusammenarbeit mit der Sächsischen Landesbeauftragten entstand, ist ein Mosaik der Erinnerungen und Perspektiven, die ein spannendes Porträt einer bewegten Zeit abbilden.

Während der Buchpremiere kamen in einer szenischen Lesung verschiedene Stimmen des Buches zu Wort - Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die sich in dieser Zeit engagierten und gleichzeitig Beobachter waren. Es waren Menschen, die sich mutig einbrachten, ohne dass sie wussten, von welcher Richtung der zukünftige politische Wind wehen würde. Der Ausgang dieser Veränderungen war offen - das wird während der Lesung deutlich. Trotz dieser Unsicherheit setzten sich die Bautzner couragiert für Reformen, Dialog und den gewaltlosen Protest ein. Die Erfahrung dieser Zeit prägt sie bis heute.

Christa Kämpfe ist einer dieser Akteure. Der Kampf um die Rettung der Bautzener Altstadt hatte die Denkmalschützerin politisiert. Während der Lesung schilderte sie die damalige Situation, die sich viele heute nicht mehr vorstellen können: Spaziert man heute durch die Bautzener Altstadt sieht man sanierte denkmalgeschützte Häuser - architektonische Kleinode in sehr gutem Zustand. Ende der 1980er Jahre hingegen waren viele dieser Häuser dem Verfall preisgegeben. Teile der Bautzener Altstadt sollten aufgrund ihrer maroden Substanz abgerissen und durch Plattenbauten des Typs WBS 70 ersetzt werden. Die Straßen der Altstadt sollten von Betonplatten anstelle historischer Pflastersteine geprägt sein. Beton statt Ziegelstein und Granit, so lautete die Devise. Dass die Häuser heute noch stehen, verdanken sie dem Engagement von Bautzenern wie Christa Kämpfe, die sich für ihre Rettung einsetzten. „Die Häuser bleiben stehen“, das war eine der Forderungen dieser Zeit. „Die Zeit der Transformation war von einem großen Tempo geprägt“, erzählte sie im anschließenden Publikumsgespräch. „Auf einem Transparent der Demos in der Zeit des Aufbruchs habe ich mal eine Forderung gelesen, die lautete ‚Erst Erwachsenwerden, dann heiraten‘. Für das Erwachsenwerden blieb damals wenig Zeit“, erinnert sie sich. Sie selbst engagiert sich bis heute im Denkmalschutz.

Ein weiterer Zeitzeuge, der auf der Buchpremiere seine Erfahrungen schilderte, war Christian Schramm, der von 1990 bis 2015 Oberbürgermeister der Stadt Bautzen war. Ende der 1980er Jahre war er als Bezirkskatechet in der evangelischen Kirche tätig und politisch aktiv im Neuen Forum. „Wer schalten will, muss am Hebel sitzen“,  erklärte Christian Schramm seine Motivation, sich politisch zu engagieren. „Wir hatten uns damals vorgestellt, dieses Land verändern zu können“, erläuterte Schramm seine anfängliche Vorstellung von der Reformierbarkeit der DDR. Als er miterlebte, wie brutal der SED-Staat am 7. Oktober 1989 gegen die Demonstranten vorging an der Gethsemane-Kirche Berlin wurde ihm klar: „Unsere Überlegung hat keine Chance. Wenn ein Staat seine Bürger so bedrängt, kann man einfach nicht erwarten, dass auf normalen Wegen Veränderung möglich ist.“ Der Transformationsprozess war für ihn eine prägende Zeit. „Ich hätte mir gewünscht, dass wir aus den Erfahrungen von damals mehr in den Gestaltungsraum heute einbringen. Denn in der Geschichte kommt es auf jeden einzelnen von uns an. Wir müssen aus unserer persönlichen Betroffenheit heraus Verantwortung übernehmen“, betonte er nachdrücklich im Gespräch mit dem Publikum.

Während der Buchpremiere in Bautzen kamen weitere Perspektiven zu Wort: Bettina Renner stellte Textpassagen Claus Gruhls vor, der Ende der 1980er Jahre das Neue Forum in Bautzen mitbegründete. Eine Aktion, die damals gefährlich war, denn oppositionelle Aktivitäten wurden verfolgt. Gruhl gründete anschließend die Partei Bündnis 90/Die Grünen in Sachsen mit und ist bis heute als Stadtrat der Grünen in Bautzen aktiv. „Wir haben uns damals gesagt: Wir machen das jetzt einfach!“ - so beschreibt Claus Gruhl im Buch den Mut und die Selbstermächtigung dieser Zeit.

Eveline Günther, seit 40 Jahren Dramaturgin am Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen, schilderte im Rahmen der Lesung die bewegten Zeiten des Umbruchs aus der Perspektive des Theaters, das in der DDR als Freiräume für Kritik am politischen System bot. Günther engagierte sich Ende der 1980er Jahre politisch für die Frauen in Bautzen. Sie erlebte wie sich plötzlich die Menschen trauten offen zu reden, wie eine öffentliche Debatte entstand, die es in der Form vorher nicht gab.

Frank Hiekel war in den Zeiten des Umbruchs stellvertretender Leiter der Haftanstalt Bautzen I. Während der Buchpremiere schilderte er, wie er die Zeit der Veränderung erlebt hatte. Damals erreichte der Protest der Demonstranten die Haftanstalt Bautzen, die Inhaftierten streikten und die Lage drohte zu eskalieren. Eine Zeit, in der er Verantwortung übernahm und sich für den Dialog einsetzte, während seine Vorgesetzten sich ihrer Verantwortung entzogen. Für Hiekel eine einsame Zeit, in der er ein hohes persönliches Risiko einging. „Es ist ein Verdienst vieler, dass es damals kein Blutvergießen gab“, betonte Hiekel, der seit 2018 Leiter der JVA Bautzen, der ehemaligen Haftanstalt Bautzen I ist.

Das Buch „Bautzen im Dazwischen – Vom Ende der DDR zum Aufbruch in eine neue Zeit“ kann bei der Sächsischen Landesbeauftragten bestellt werden oder ist über den Buchhandel erwerbbar. Weitere Lesungen können gerne bei uns angefragt werden. 

 

 

Geschichte und Geschichten aufspüren - Hi-STORIES lädt Jugendliche zur interaktiven Zeitreise ein

In unserem neuen Bildungsprojekt "Hi-STORIES" begeben sich junge Menschen auf die Spur der DDR-Geschichte in ihrem Wohnort und erstellen dazu eigene digitale Beiträge. Am 27. Juni 2022 stellten Berufsschülerinnen und Berufsschüler der Euro-Schulen Leipzig ihre Ideen für das Projekt vor.  Nun startet die praktische Phase: Die Schülerinnen und Schüler begeben sich auf die Spurensuche und realisieren ihre eigenen Hi-STORIES. Die Beiträge werden anschließend auf der digitalen Projektplattform www.hi-stories.de veröffentlicht.

Lea, Akram, Tim und Moritz sind auf der Karl-Liebknecht-Straße in der Leipziger Südvorstadt unterwegs auf den Spuren der DDR-Geschichte. Hier, auf einer der bekanntesten Straßen der Stadt, verschmolzen in den frühen Neunzigerjahren Hausbesetzerszene und Club-Kultur. Die Gruppe ist auf der Suche nach Plattenläden, nach Vinyl. Zu DDR-Zeiten heiß begehrt, oft vergriffen und nicht selten unterhalb der Verkaufstresen wie eine eigene Währung gehandelt, wollen die Berufsschüler mehr über den Mythos Schallplatte wissen. Ortwechsel: In Connewitz besuchen derweil Isabel und Nicole das Archiv Bürgerbewegung, wo seit 1991 Zeugnisse der DDR-Opposition und unterschiedlichen Bürgerbewegungen gesammelt werden. Auch sie wollen mehr über die Musikkultur der DDR erfahren.

Was die Jugendlichen gemeinsam haben: Gemeinsam nehmen sie am digitalen Mitmachprojekt Hi-STORIES der Landesbeauftragten teil. Die Schülerinnen und Schüler der Berufsschulklasse sind im zweiten Ausbildungsjahr zum Kaufmann*frau für Dialogmarketing und sie wollen mehr zum Thema DDR-Geschichte vor Ort erfahren.

Das Projekt Hi-STORIES ist Teil des Bundesprogramms „Jugend erinnert“ und möchte junge Menschen ab 14 Jahren dafür gewinnen, ihr unmittelbares Lebensumfeld aus verschiedenen Blickwinkeln unter die Lupe zu nehmen. „Hi-STORIES soll vor allem Interesse wecken und Spaß machen. Bei einer historischen Spurensuche vor der eigenen Haustür wird man automatisch zum Detektiv“, erläutert die Landesbeauftragte Dr. Nancy Aris. Ausgangspunkt einer solchen Spurensuche kann ein Objekt, ein Ort oder eine Person mit einem Bezug zur DDR oder der Transformationszeit sein. Ist dies gefunden, recherchieren die Teilnehmenden selbstständig und machen Quellen ausfindig. Ihre Arbeitsergebnisse fassen sie in einem digitalen Beitrag zusammen. Das kann eine Fotoserie sein, ein Video oder ein Podcast. Allerdings muss er sich mit einem konkreten historischen Datum beschäftigen. Denn Hi-STORIES greift die Idee des klassischen Abrisskalenders auf und überträgt ihn ins Digitale. Nach diesem Prinzip funktioniert auch die Website des Projekts, auf der die Beiträge hochgeladen und kommentiert werden können.

Mindestens genauso wichtig wie der digitale Beitrag, ist bei Hi-STORIES die Recherche im Vorfeld. So etwa, wenn die Teilnehmenden Gespräche führen oder Quellen erkunden. Dies ermöglicht ihnen einen authentischen Zugang zu Geschichte.

Aus der historisch-politischen Bildung wissen wir: je greifbarer und anschaulicher die Vergangenheit für Heranwachsende ist, desto höher ist ihre Bereitschaft, mehr darüber lernen zu wollen. Die eigenständige Recherche und der persönliche Zugang fördern zudem das Finden eigener Lösungsansätze. Nur so lassen sich altersgemäße Räume und Orte der Teilhabe und Identifikation schaffen. „Ich würde mir wünschen, dass Jugendliche nach dem Projekt mit anderen Augen durch den Alltag gehen und sehen, dass sie von Geschichten umgeben sind“, so Dr. Aris.

Ein wichtiger Schlüssel liegt in der Neugier. Die Suche nach neuen Unterrichtsformen führte die Lehrkräfte der Euro-Schulen Leipzig zur Landesbeauftragten und zu Hi-STORIES. „Wir haben das Projekt zunächst im Kollegenkreis besprochen“, so Lehrer Marvin Kus, „und dann der Klasse vorgestellt“. Die sei seitdem selbstständig mit großem Ehrgeiz und investigativem Drive dabei, auch wenn die Arbeit nicht benotet wird. Kus sieht den Grund darin, dass es um Themen gehe, die sich die Schülerinnen und Schüler selbst suchen. Themen, die meist so nicht im Lehrplan stehen und sie persönlich abholen. Die Basis dafür erarbeitete sich die Klasse im Rahmen zweier Workshops, die das Hi-STORIES-Projektteam anbietet, um gemeinsam ins Thema zu starten und die Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens abzustecken.

Isabel und Nicole, die im Archiv Bürgerbewegung forschten, stießen über die legendäre Leipziger Punkband "Wutanfall" schließlich auf die Leipziger Kerzendemonstrationen im November 1983 und fanden im 18. November 1983 ihr Thema. Damals demonstrieren etwa 25 Jugendliche mit Kerzen und lila Tüchern auf der Eröffnung der DOK Leipzig, ehe sie von Staatswegen unter den Augen der Öffentlichkeit brutal auseinandergetrieben und verhaftet wurden.

Für den DDR-Punk interessierte sich auch die Gruppe um Sophie, Justin, Franz und Tom. Auch sie haben zunächst recherchiert, sind dafür unter anderem ins Zeitgeschichtlichen Forum oder die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ gegangen. In ihrem Podcast möchte die Gruppe einen Zeitzeugen interviewen, der zu DDR-Zeiten in Connewitz wohnte.

Lea, Jannis und Fabian erforschen derweil Homosexualität in der DDR, die trotz fortschrittlicher Rechtsprechung bis zum Ende tabuisiert wurde. Auch sie haben dafür mit verschiedenen Vereinen und Archiven gesprochen. Für ihren Podcast möchte die Gruppe einen Zeitzeugen befragen. Doch den zu finden, sei gar nicht so einfach und brauche noch etwas Zeit, schildert das Trio.   

Und Lea, Akram, Tim und Moritz? In den Plattenläden sind sie nur bedingt weitergekommen, sehr wohl aber bei ihrer Suche nach einem Zeitzeugen bzw. Zeitzeugin. Dr. Cornelia Wiesner, die Leiterin der Berufsschule und Fachschule der Euro Akademie, erzählt der Gruppe von zwei Langspielplatten von Udo Jürgens, die für sie große Bedeutung haben. Beide wurden in der Bundesrepublik gepresst und von ihrer Großmutter in die DDR geschmuggelt. Neben den Melodien kam es für Dr. Wiesner vor allem auf die Liedtexte an, mit denen sich Jürgens immer wieder im Spannungsfeld der Zensur bewegte. Hi-STORIES sieht sie als eine gute Möglichkeit, sich den Erfahrungen der Menschen damals und ihrer Lebenswirklichkeit zu nähern. Denn gerade die jüngste Vergangenheit, so Dr. Wiesner, gerate gerade bei jungen Menschen viel zu schnell aus dem Blickpunkt.

Derweil lief für die Klasse in der Woche nach der Projektvorstellung das Schuljahr aus. Die Berufsschülerinnen und -schüler gehen dann zurück in ihre Unternehmen. Auch wenn bis dahin nicht jeder Projektbeitrag fertig ist, wollen sie diese dennoch in ihrer Freizeit fertigstellen. Darin sind sich die Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer einig.

Landesbeauftragte bildet Juristinnen und Juristen weiter zur politischen Strafjustiz in der DDR

Detailansicht öffnen: Fortbildung zur politischen Strafjustiz in der DDR
Fortbildung zur politischen Strafjustiz in der DDR in der Gedenkstätte Bautzener Straße.
Detailansicht öffnen: Vorladung der Volkspolizei
Vorladung der Volkspolizei zur "Klärung eines Sachverhalts".

„Berlin-Verbot“, „feindliche Verbindungsaufnahme“, „Assi-Paragraph“ – Das alles sind Begriffe, die Jurastudenten heute kaum kennen. Die Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Dr. Nancy Aris, brachte am 22. Juni 2022 Licht ins Dunkel. In einer rechtshistorischen Fortbildung in der Gedenkstätte Bautzner Straße erklärte sie Rechtsreferendaren, wie sich die Justiz nach dem Zweiten Weltkrieg in Ostdeutschland zum Instrument der kommunistischen Partei entwickelte. Mit Hilfe von Bild- und Tondokumenten, machte sie deutlich, wie die Zusammenarbeit von Justiz, Partei und Staatssicherheit funktionierte. Welche Möglichkeiten der Strafverfolgung gegen politische Gegner gab es? Was hatte es mit den politischen „Gummiparagraphen" auf sich? Wie wurden sie angewandt? Wie lief der Strafvollzug ab?

Während der Fortbildung erläuterte die Landesbeauftragte, wie die Strafjustiz in der DDR über die Jahre hinweg auf gesellschaftliche Veränderun­gen reagierte und sich anpasste. Die angehenden Juristinnen und Juristen erhielten außerdem einen Überblick über die Justizgeschichte der DDR und ihre Schlaglichter von den „Waldheimer Prozessen" bis zur „Aktion Rose". Auch der Umgang mit der Justiz nach 1989 war ein wichtiges Thema. Neben der juristischen Aufarbeitung stellte Dr. Nancy Aris die Bemühungen um Rehabilitierung der Betroffenen vor. Dabei ging es vor allem um die heutigen Herausforderungen bei Wiedergutmachung von SED-Unrecht.

Die Weiterbildung, die wir regelmäßig für angehende Juristinnen und Juristen anbieten, ist ein wichtiger Bestandteil der juristischen Ausbildung. Seit dem 1.1.2022 ist das Thema „Politische Strafjustiz in der DDR" sogar offizieller Bestandteil der Richterausbildung. Die Weiterbildung sensibilisiert für eine kritische Bewertung der Vergangenheit und für eine angemessene Bewertung von Opferschicksalen, die das Leben der Betroffenen bis heute prägen und einer intensiven Beratung bedürfen.

Die Sächsische Landesbeauftragte auf der 14. Geschichtsmesse in Suhl

Detailansicht öffnen: Dr. Nancy Aris auf der Geschichtsmesse Suhl
Frau Dr. Nancy Aris im Gespräch auf der Geschichtsmesse.
Detailansicht öffnen: Geschichtsmesse Suhl Podiumsdiskussion
Podiumsgespräch mit Prof. Dr. Jörg Ganzenmüller, Christine Lieberknecht, Bodo Ramelow und Dr. Nancy Aris.
Detailansicht öffnen: Projektpräsentation der LASD auf der Geschichtsmesse
Präsentation unseres digitalen Mitmachprojekts "Hi-STORIES. Geschichte vor Ort"
Detailansicht öffnen: Infostand der Landesbeauftragten
Der Infostand der Landesbeauftragten auf der Geschichtsmesse in Suhl.

Vom 28. bis 30. April 2022 präsentierten wir unsere Arbeit und aktuelle Bildungsprojekte auf der 14. Geschichtsmesse in Suhl. Unter dem Titel "Demokratie unter Druck" stand auf der diesjährigen Geschichtsmesse das Spannungsfeld zwischen Freiheit, Protest und Extremismus in Deutschland und Europa nach 1989/90 im Mittelpunkt.

Im Einführungsvortrag der Geschichtsmesse lud Prof. Dr. Jörg Ganzenmüller von der Stiftung Ettersberg zunächst dazu ein, sich mit der Frage der aktuellen und historischen Definition von Freiheit auseinanderzusetzen. Den Bogen von der Geschichte in die aktuelle und politisch oft heiß diskutierte Gegenwart schlug das Podiumsgespräch "Die Grenzen der Demokratie. Freiheit und Protest im vereinten Deutschland":  Die Sächsische Landesbeauftragte Dr. Nancy Aris kam hier gemeinsam mit der ehemaligen thüringischen Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, dem amtierenden Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringens Bodo Ramelow und Prof. Ganzenmüller ins Gespräch. Im Fokus standen mögliche Ursachen für Demokratieskepsis bei einem Teil der Bevölkerung aber auch geschichtsverfälschende Diskurse bei den jüngsten Corona-Protesten. "Hier sehe ich eine große Chance in der politischen Bildung. Diese ist wichtig, um vor allem junge Menschen über historische Zusammenhänge zu informieren und ihnen anschaulich begreifbar zu machen, wie das politisches System in einer Diktatur wie der DDR funktionierte. In der DDR wären der aktuelle Protest und öffentliche Debatten darüber nicht möglich gewesen“, erläuterte Dr. Nancy Aris.

Darüber hinaus setzte sich die Geschichtsmesse mit weißen Flecken der gesellschaftlichen Aufarbeitung auseinander, wie dem politischen Extremismus der 1990er Jahre im Osten Deutschland. Fast 30 Jahre sind die rassistisch motivierten Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen her, die Aufarbeitung dieser Ereignisse fällt aber immer noch schwer, so das Fazit des Podiums.

Digital und interaktiv - so möchte politische Bildung  gerne jüngeren Menschen Wissen vermitteln. Die Geschichtsmesse lud auch hier zur Diskussion ein und stellte Fragen, wie: Interessieren wir mit Tik-Tok jüngere Menschen für historische Themen? Sollte politische Bildung mehr auf moderne Social- Media-Kanäle, Games und virtuelle Apps setzen? Die Podiumsteilnehmer plädierten hier eindeutig für ein "Ja", wobei hier die Grenzen der Ressourcen beachtet werden sollten.

Die Geschichtsmesse schloss mit einem Podiumsgespräch zum Freiheitsbegriff in europäischer Perspektive vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs. Nach den Freiheitsrevolutionen von 1989/90 ist die Freiheit in Osteuropa nun in Gefahr, die Situation für die Ukraine katastrophal. Im Podium diskutierten Prof. Dr. Irina Scherbakowa von der Menschenrechtsorganisation Memorial Moskau, die tschechische Autorin Dr. Radka Denemarková, Markus Meckel, Ratsvorsitzender der Bundesstiftung Aufarbeitung, der deutsch-polnische Historischer Bogdan Musiał sowie Dr. Adamantios Theodor Skordos vom Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa miteinander. Im Fokus stand, welche Möglichkeiten es gibt, die europäische Freiheit zu schützen und die Ukraine zu unterstützen.

Neben Vorträgen und Workshops bot die Geschichtsmesse Raum für die Vorstellung aktueller Projekte der historisch-politischen Bildung. Die Sächsische Landesbeauftragte präsentierte hier gemeinsam mit Projektleiter Dr. Alexander Müller das digitale Mitmachprojekt "Hi-STORIES. Geschichte vor Ort". Darüber hinaus war unsere Behörde mit einem Infostand vertreten.

Hintergrund:
Die Fachtagung der Bundesstiftung Aufarbeitung findet seit 2008 jährlich im thüringischen Suhl statt und widmet sich immer einem Thema der deutsch-deutschen Geschichte im europäischen Kontext. Jährlich besuchen mehr als 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz Deutschland die Geschichtsmesse. Die Sächsische Landesbeauftragte nimmt neben schulischen und außerschulischen Bildungseinrichtungen, Gedenkstätten, Aufarbeitungsinitiativen und Forschungseinrichtungen regelmäßig an der Tagung teil.