Landesbeauftragte erinnert an Else Thomas

Landesbeauftragte erinnert an Else Thomas

08/2021 Datum 15.09.2021

Am 5. September 2021 verstarb die in Leipzig lebende Else Thomas im Alter von 94 Jahren.

Die am 16. Oktober 1926 im niederschlesischen Jarischau Geborene wächst behütet in einem christlich geprägten Elternhaus auf. Mit Politik hat die Familie nichts zu tun. Doch in den letzten Wochen des 2. Weltkriegs gerät ihr Heimatort zwischen die Fronten, mal sind die Russen da, dann die Deutschen, dann wieder die Russen. Die Familie entscheidet sich gegen eine Flucht. Else Thomas wird am 12. März 1945 von der Straße weg verhaftet. Dass die Familie nicht geflohen war, macht sie verdächtig. Kurze Zeit später wird sie im Viehwaggon nach Sibirien deportiert. Unter den 2.000 Gefangenen sind 150 Frauen und Mädchen. Nach vier Wochen erreichen sie Kemerowo. In einem Kriegsgefangenenlager mit deutschen und japanischen Häftlingen leistet Else Thomas Zwangsarbeit, sieben Tage die Woche, im Winter bei minus vierzig Grad. Else Thomas muss viereinhalb Jahre in diesem Lager bleiben. Später sagt sie: "Ich denke heute noch daran, dass dort in Kemerowo zuerst die Kriegsgefangenen heim durften und wir Frauen, die wir gar nichts gemacht haben, wir saßen bis zum Schluss".

Nach ihrer Rückkehr in die DDR führt Else Thomas ein angepasstes Leben, um nicht aufzufallen. Nur mit ehemaligen Haftkameraden spricht sie über das Erlebte. Erst nach dem Mauerfall bricht sie ihr Schweigen und engagiert sich für eine Würdigung des erlittenen Unrechts. Sie spricht auf Veranstaltungen und in Schulen, ist im Bund der stalinistisch Verfolgten aktiv. Für eine strafrechtliche Rehabilitierung der Zivilverschleppten kämpft Else Thomas Zeit ihres Lebens ohne Erfolg. Als Anerkennung ihrer Leiden erhält sie lediglich die erst 2016 beschlos-sene Anerkennungsleistung für ehemalige deutsche Zwangsarbeiter. Auch wenn die Ausgleichszahlung in Höhe von 2.500 Euro keine Rehabilitierung ist, ist ihr diese Anerkennung wichtig, weil in diesem Zusammenhang das Leid der Zivildeportierten ins Blickfeld gerät.

Else Thomas setzt sich bis zuletzt dafür ein, das Unrecht an den Frauen bekannt zu machen und ihnen eine Stimme zu geben. Noch im Jahr 2016 stellt sie mit der Landesbeauftragten ihr Schicksal bei der Leipziger Buchmesse vor und steht dem MDR als Interviewpartnerin zur Verfügung. Aus dem Altenheim heraus steht sie für Fragen bereit, ist bis zuletzt geistig rege und interessiert an den Fragen unserer Zeit. Wir werden sie vermissen. Ihr ernsthafter Ton und ihre auf Ausgleich und Toleranz ausgerichtete Haltung wird uns in der Aufarbeitung fehlen.


Pressekontakt:
Dr. Nancy Aris
Landesbeauftragte
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